„Ich will deine
doofe Sprache nicht!“
Mehrsprachige Entwicklungsprozesse
Die folgenden Ausführungen
basieren auf Ergebnissen einer empirischen Studie,
in der hundert Mütter aus griechisch-deutschen Familien interviewt
wurden: griechische Mütter in Deutschland und deutsche Mütter in
Griechenland - die Mutter sprach also jeweils die
"Nichtumgebungssprache".
Zur
generellen Frage: Wie erwerben Kinder Sprache:
www.sprachfoerderung.info
Kinder in
gemischtsprachigen Familien erwerben die Sprache des Landes, in dem sie
aufwachsen – die sog. Umgebungssprache – im Allgemeinen ohne große
Probleme. Da sie im sozialen Umfeld, in den Medien usw. allgegenwärtig
ist, haben die Kinder ausreichend sprachliche Vorbilder und
Möglichkeiten, sie zu gebrauchen. Darüber hinaus wird die
Umgebungssprache in Kindergarten und Schule gefördert. Die Präsenz und
die Förderung von Nichtumgebungssprachen sind dagegen nicht selbstverständlich. Ihr Erwerb kann daher mit
Schwierigkeiten verbunden sein.
Dies zeigt sich z.B. darin, dass die meisten Kinder (hier: 76%) Phasen
durchlaufen, in denen sie in der Umgebungssprache antworten, obwohl sie
in der Nichtumgebungssprache angesprochen wurden – manchmal sogar ganz
bewusst:
Eine deutsche Mutter in Athen:
"Manchmal sagt mein Sohn, wenn ich ihm Deutsch beibringe: Ich will
deine doofe Sprache nicht lernen!"
Derartige
Verweigerungen durch das Kind können die betroffenen Eltern in hohem
Maße frustrieren und verunsichern.
Mehrsprachige Erziehung
Auf die mehrsprachige Entwicklung des Kindes haben neben individuellen
Unterschieden – ein Kind spricht früher oder mehr als das andere etc. -
eine Reihe von Faktoren eine Einfluss:
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Methode der
Spracherziehung
Grundsätzlich wird
die Sprachentwicklung des Kindes durch sprachliche Vorbilder und eine
sprachanregende Umgebung unterstützt (zu Spracherwerb und Förderung:
www.sprachfoerderung.info).
Der Erwerb einer Sprache, die nicht Sprache des Landes ist, in dem ein
Kind aufwächst – z.B. Griechisch in Deutschland -, hängt zudem
wesentlich von dem Elternteil ab, welches diese Sprache spricht.
Verwendet die griechische Mutter in Deutschland konsequent im Gespräch
mit ihrem Kind die griechische Sprache, wird sie eine große Bedeutung
für das Kind haben: Sie ist die Sprache, in dem es von Geburt an mit
seiner Mutter kommuniziert, in der es eine Bindung zur Mutter aufbaut,
erste Begriffe lernt. Je mehr Ausnahmen die Mutter jedoch macht – d.h.
je häufiger sie mit ihrem Kind deutsch spricht – desto geringer wird
die Bedeutung der Sprache und damit der für das Kind erkennbare Sinn,
diese überhaupt zu sprechen.
Bei konsequentem Spracherziehungsverhalten ist die Wahrscheinlichkeit
hoch, dass das Kind sehr gute Kompetenzen in der Nichtumgebungssprache
erwirbt (hier: 93%), unbedingt notwendig ist Konsequenz jedoch nicht:
Viele Kinder (hier: 71%) deren Eltern angaben, nicht konsequent gewesen
zu sein, erlangen ebenfalls sehr gute Kompetenzen in der
Nichtumgebungssprache.
Ein enger wechselseitiger Zusammenhang besteht zwischen der
Spracherziehung und Verweigerungen durch das Kind: Macht z.B. eine
deutsche Mutter in Griechenland häufig Ausnahmen und spricht – aus
welchen Gründen auch immer - mit ihrem Kind in der Umgebungssprache
griechisch, wird auch das Kind immer öfter seiner Mutter gegenüber die
griechische Sprache verwenden und die deutsche verweigern (hier:
während 50% der Kinder konsequenter Eltern den Gebrauch der
Nichtumgebungssprache phasenweise verweigerten, waren es 82%
inkonsequenter Eltern). Wenn umgekehrt das Kind mit seiner deutschen
Mutter griechisch spricht, kann dies zur Folge haben, dass nun auch die
Mutter auf Griechisch antwortet.
Eine deutsche Mutter in Thessaloniki:
"Dass sie auf Griechisch antwortet, passiert meistens. Ich rede dann
auch oft griechisch. Vielleicht, wenn ich von Anfang an darauf
bestanden hätte, deutsch zu sprechen ... Ich war da vielleicht auch zu
nachlässig."
Mehrsprachige Erziehung
Empfehlungen
für Eltern
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Die beschriebenen
Effekte werden dann verstärkt, wenn der Ehepartner die
Nichtumgebungssprache kaum oder gar nicht versteht und die Eltern
untereinander die Sprache der Umgebung sprechen: Für ein kleines Kind
ist es nicht einsichtig, weshalb die Mutter mit dem Vater (und mit dem
Nachbarn, der Erzieherin ...) griechisch spricht, und nur mit ihm
deutsch.
Eine deutsche Mutter in Thessaloniki:
"Sie sprach mit mir griechisch, ich sagte: sag es doch auf Deutsch! Sie
sagte: Αφού με καταλαβαίνεις, γιατί να το ξαναλέω; (Du verstehst mich
doch, warum soll ich es noch einmal sagen?). Sie hatte mich
durchschaut."
Unter derartigen
Konstellationen kommt es fast immer (hier: in 95% der Fälle) dazu, dass
Kinder den Gebrauch der Nichtumgebungssprache phasenweise ablehnen.
In Familien, in denen der Partner die Nichtumgebungssprache sehr gut
beherrscht, und in denen diese Sprache auch als Sprache zwischen den
Eltern verwendet wird, kommt der Nichtumgebungssprache ein hoher
qualitativer und quantitativer Stellenwert zu. Dies unterstützt den
Erwerbsprozess des Kindes.
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Sprachliche Zusammensetzung des
sozialen Umfeldes
Regelmäßige und
intensive Kontakte des Kindes zu Personen, die die
Nichtumgebungssprache sprechen, unterstützen den Erwerb dieser Sprache.
Zum einen hat das Kind so auch außerhalb der Familie viele
Gelegenheiten, die Nichtumgebungssprache zu sprechen. Zum anderen
erkennt es, dass nicht nur seine Mutter oder / und sein Vater diese
Sprache spricht. Die größere Bedeutung, die die Nichtumgebungssprache
dadurch erlangt, spiegelt sich auch in einer geringeren Quote von
Verweigerungen bei Kindern mit vergleichsweise vielen Kontakten zu
Nichtumgebungssprachlern (60%) im Vergleich zu solchen mit wenigen
Kontakten (92%).
Mehrsprachigkeit
im sozialen Kontext
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Prestige der Nichtumgebungssprache
Das Ansehen, welches
eine Sprache innerhalb eines Landes hat, spiegelt sich in positiven
bzw. negativen Haltungen des sozialen Umfeldes wider. So werden z.B.
Kinder, die in Griechenland griechisch-deutsch aufwachsen, für ihre
Deutschkenntnisse viel Lob bekommen („Toll, wie gut Du schon deutsch
kannst!“) während griechisch-deutsche Kinder in Deutschland eher
skeptisch betrachtet werden („Ach, Du sprichst Griechisch? Kannst Du
denn auch Deutsch?“).
Mehrsprachige Erziehung
Auf diese Weise unterstützt ein hohes Prestige den Erwerb einer
Sprache. Ist das Sprachprestige niedrig, ist auch die
Wahrscheinlichkeit größer, dass das Kind den Gebrauch der Sprache
verweigert: In Griechenland verweigerten 68% der Kinder den aktiven
Gebrauch der deutschen Sprache, in Deutschland dagegen 87% den aktiven
Gebrauch der griechischen Sprache.
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Förderung der
Nichtumgebungssprache in Kindergarten und Schule
Die Förderung der
Nichtumgebungssprache im Kindergarten hat einen Einfluss darauf, wie
gut das Kind sie erwirbt: 100% der Kinder, die z.B. einen griechischen
Kindergarten in Deutschland oder einen deutschen Kindergarten in
Griechenland besuchten, beherrschten die griechische Sprache sehr gut,
84% derjenigen, die einen zweisprachigen Kindergarten besuchten, und
72% der Kinder in einsprachig deutschen Kindergärten.
Der Eintritt in einen Kindergarten, der nur in der Umgebungssprache
geführt wird, und die damit einhergehende Erfahrung, dass alle anderen
Kinder und die Erzieher/innen ausschließlich diese Sprache sprechen,
steht in einem engen Zusammenhang mit Phasen der Verweigerung des
aktiven Gebrauchs der Nichtumgebungssprache (hier: in 84% der Fälle).
Viele Eltern berichten, dass der Eintritt in den Kindergarten sogar der
Auslöser für Verweigerungen war. Dagegen wird in einer Einrichtung, in
der beide Sprachen gleichberechtigt präsent sind und gefördert werden,
Mehrsprachigkeit als Normalität erlebt, Verweigerungen treten seltener
auf (hier: in 58% der Fälle).
Mehrsprachigkeit
im Bildungssystem
Einstellungen pädagogischer Fachkräfte
Empfehlungen für pädagogische Fachkräfte
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